Rammstein bei der Premiere des Kinofilms Rammstein: Paris in der Volksbühne.
In einer neuen Recherche schildern Frauen von ihren traumatischen Erlebnissen, die sie vor vielen Jahren mit der Band Rammstein erfahren haben sollen. Bildrechte: IMAGO/Gonzales Photo

Causa Rammstein Weiteres Bandmitglied im Fokus neuer Missbrauchs-Vorwürfe

18. Juli 2023, 14:41 Uhr

Seit Ende Mai werden Vorwürfe gegen die Band Rammstein, insbesondere Frontmann Till Lindemann laut. Anschuldigungen, die sexuelle Übergriffe und Rekrutierungen junger Frauen beschreiben. Die Band und Sänger Lindemann wehren sich mit Anwälten. Jetzt kommen durch Recherchen vom NDR und der Süddeutschen Zeitung neue Vorwürfe ans Licht, die nun Keyboarder "Flake" belasten. Es geht um einen Verdacht. Für die mit den Vorwürfen konfrontierten Bandmitglieder gilt die Unschuldsvermutung.

Neue Vorwürfe richten sich nicht nur gegen Lindemann

Zwei Frauen, die beide namentlich nicht genannt werden möchten, berichten in einer neuen Recherche von ihren Erfahrungen mit der Band Rammstein. Dabei steht nicht nur Sänger Till Lindemann im Fokus. Stattdessen erzählen beide Frauen auch von ihren Erfahrungen mit Keyboarder Christian Lorenz, auch "Flake" genannt, die bereits mehr als 20 Jahre zurückliegen.

Eine Frau berichtet von dem Tag im Dezember 2002, als sie Sänger Lindemann das erste Mal traf. Sie sei damals 17 Jahre alt und auf einer Autogrammstunde seines damals erschienen Buches "Messer" gewesen. Nach der Signierstunde sei sie mit einem Bekannten noch in eine Bar gegangen, in die an diesem Abend auch Till Lindemann und Christian Lorenz kamen. Die junge Frau sei von Lindemann gefragt worden, ob sie noch mit in das Landhaus des Keyboarders fahren wolle - ohne ihren Bekannten.

Sie selbst gibt an, mitgefahren zu sein, weil sie sich sicher fühlte - sie sei schließlich mit zwei Weltstars unterwegs. In dem Landhaus hätte sie anschließend zusammen mit Lindemann und "Flake" viel Bier und Schnaps getrunken. Sie selbst, so erzählt sie, habe sich irgendwann stark berauscht gefühlt, ihr Mund sei sehr trocken gewesen und es wäre ihr vorgekommen, als würden die Wände auf sie zukommen. Lindemann hätte sich irgendwann zum Schlafen verabschiedet und auch sie sei ins Bett gegangen. Laut ihren Schilderungen, hätte sich Keyboarder Lorenz neben sie ins Bett gelegt.

"Flake" hätte das junge Mädchen anschließend zu sich gedreht und Sex mit ihr gehabt. Sie selbst hätte den Geschlechtsverkehr nicht gewollt, sei aber nicht dazu in der Lage gewesen "Nein" zu sagen. Stattdessen sei sie einfach nur wehrlos liegen gelieben.

Die junge Frau hat ihre Aussagen zur Vorlage vor Gericht an Eides statt versichert, ebenso wie weitere Personen aus dem Umfeld der Frau. Dokumente und Unterlagen die dem Rechercheteam von NDR und SZ vorliegen, würden ihre Aussagen unterstreichen. Es gilt trotzdem weiterhin die Unschuldsvermutung.

Rammstein live in Odense
Anders anders bisher richten sich die neuen Anschuldigungen gegen Keyboarder "Flake". Bildrechte: IMAGO/Gonzales Photo

Starke Schmerzen im Unterleib

Auch eine weitere Frau ist mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen, auch sie möchte namentlich nicht genannt werden. Die damals 22-Jährige erinnert sich an ein Konzert im Jahr 1996 in Gera - noch vor dem großen Durchbruch der Band.

Damals sei sie nach dem Konzert mit Lorenz ins Gespräch gekommen, der sie im Anschluss gefragt haben soll, ob sie mit ihm und anderen Personen der Band noch ins Hotel und in den dortigen Pool gehen wolle. Später seien sie noch auf ein Hotelzimmer gegangen, an die restlichen Geschehnisse des Abends hätte sie keine Erinnerungen mehr.

Das erste, woran sie sich wieder erinnern könne, sei, dass sie nackt auf dem Hotelzimmerboden neben "Flake" aufwachte. Sie erzählt, dass sich ihr Unterleib am nächsten Morgen "wie zerfetzt" angefühlt hätte. Solche Schmerzen, die mehrere Tage anhielten, hätte sie vorher und auch danach nie wieder gehabt. Was genau in der Nacht passiert ist, wüsste sie nicht. Genau so wenig, wer dafür verantwortlich sei.

Bislang keine Anzeigen der Frauen

Beide Frauen haben bislang keine Anzeigen bei der Polizei gemacht. Ob die Vorwürfe als Taten, die 27 bzw. 21 Jahre zurückliegen, verjährt wären, wäre bei einer Strafanzeige von den Strafverfolgungsbehörden zu prüfen. Bei einigen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ruht die Verjährung der Strafverfolgung bis zum 30. Lebensjahr der Opfer. Die Anwälte von Keyborder Flake weisen darauf hin, dass strafrechtliche Konsequenzen aufgrund Verjährung des angeblichen Vorfalles 1996 jedenfalls ausgeschlossen wären. Allerdings sieht die Redaktion BRISANT neben der strafrechtlichen Bedeutung in den Vorwürfe auch eine moralische Dimension, insbesondere zu der Frage, ob und inwieweit die Me-Too-Bewegung nun die Musikbranche erreicht hat. Daher ist auch deshalb das öffentliche Interesse an der Berichterstattung gegeben.

Für die Recherchen von NDR und SZ haben beide Frauen und auch Menschen aus dem Umkreis - Freunde, Familie, Therapeuten - zur Vorlage bei Gericht an Eides statt versichert, die Wahrheit zu sagen. Im Falle einer Falschaussage droht also eine Gefängnisstrafe.

In der neuen Recherche erklärt die zweite Frau, warum sie so lange gewartet habe, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie erzählt, dass sie vorgehabt hätte zur Polizei zu gehen, aber dachte, dass ihr niemand glauben würde. Also schwieg sie, bis Lindemann im Jahr 2020 das Gedicht "Wenn du schläfst" veröffentlichte. Mit einem Brief wollte sie sich an den Verlag des Buches wenden, hat diesen allerdings nie abgeschickt. Im Jahr 2020 soll sie außerdem die Beratungstelle "Weißer Ring" in Anspruch genommen haben. Die erste Frau hat, laut eigenen Angaben, aus ähnlichen Motiven damals von einer Anzeige abgesehen.

Sowohl Keyboarder Christian Lorenz, als auch Schlagzeuger Christoph Schneider ließen über ihre Anwälte die Anschuldigungen zurückweisen. Es ginge dabei unter anderem auch um ihre Intimsphäre und unzureichend belegte Tatsachen. Jedwede Berichterstattung hätte eine Prangerwirkung und wäre daher unzulässig. Auch Frontmann Lindemann ließ Fragen in diesem Zusammenhang unbeantwortet. Die Redaktion BRISANT sieht die Berichterstattung als Folgeberichterstattung zu den vergangenen Vorwürfen um Till Lindemann im öffentlichen Interesse. Es gilt für alle Beteiligten weiterhin die Unschuldsvermutung. Niemand ist nach den Anschuldigungen als der vorgeworfene Taten überführt anzusehen. Berichtet wird über Verdachtsmomente, die aufgrund der Schilderungen der berichtenden Frauen bestehen, die auf deren subjektiven Erlebnissen beruhen, die aber nicht gerichtlich erwiesen sind. Eine Anfrage, die BRISANT stellte, blieb von den Rammstein-Mitgliedern bisher (18.07.) unbeantwortet.

Flake sagte dem Alkohol ab

Die Vorwürfe, die in jüngster Vergangenheit aufgekommen sind, sollen zum Großteil unter Alkoholeinfluss stattgefunden haben - auch die geschilderten mutmaßlichen Erlebnisse, die die zwei Frauen in der neuen Recherche jetzt öffentlich machten. In einem Interview aus dem Jahr 2016 sprach "Flake" mit der MAZ über seinen früheren Alkoholkonsum, anlässlich der Buchpremiere zu seiner Autobiografie "Der Tastenficker". Darin schreibt er: "Nüchtern erlebe ich kein sexuelles Abenteuer." Auf Nachfrage zu diesem Zitat sagt er im Interview: "Und es ist wahr – ohne den Alkohol habe ich nachgedacht, ob es sich lohnt. Betrunken waren mir die Konsequenzen, die Sex hat, egal." Seit dem Jahr 2010 soll er keinen Alkohol mehr trinken.

BRISANT/NDR/SZ/MAZ

Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 17. Juli 2023 | 17:15 Uhr

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