Die Grande Dame der Mode wird 75Anna Wintour: Für immer und ewig en vogue
Ich bin besessen davon, was ich tue, und messe mich gerne mit anderen. Deshalb schätze ich Menschen, die die Besten ihres Fachs sind. Wenn mich das zu einer Perfektionistin macht, dann bin ich eine.
Anna Wintour
Knallhart - das kann sie. Nicht umsonst soll sie Muse und Inspiration für "Der Teufel trägt Prada" gewesen sein. Ein filmisches Denkmal, das Anna Wintours Status als unantastbare Modeikone für alle Zeiten in die Fashion-Annalen eingebrannt hat.
Doch ist die Grande Dame der "Vogue" wirklich das skrupellose, wenn auch geniale Biest, als das sie immer wieder porträtiert wird? BRISANT begibt sich anlässlich ihres 75. Geburtstags (03.11.) auf Spurensuche.
Wie tickt Dame Anna Wintour wirklich?
Nepo-Baby Anna?
Anna Wintour wurde 1949 in eine angesehene und einflussreiche Journalistenfamilie geboren. Ihr Vater war Herausgeber des "Evening Standard", ihre Mutter Juraprofessorin in Harvard. Ihre Stiefmutter (Annas Eltern ließen sich 1979 scheiden) ist die Journalistin Audrey Slaughter, Gründerin der Zeitschriften "Honey" und "Petticoat". Es gibt wohl schlechtere Startbedingungen ins Leben.
Bei so geballtem familiären Vitamin B könnte man meinen, der Weg von Anna Wintour sei vorgezeichnet. Doch Anna, schon immer rebellisch, ist ein Kind der Swingin' Sixties. Bei ihr regierten Rock 'n' Roll und ein Geist voller Ideen.
Jugend im Swingin' London
Während ihre Geschwister eine akademische Laufbahn einschlugen, flanierte Anna andere, glamourösere Wege entlang. Statt aufs College ging es für sie mit 16 Jahren zum Luxuskaufhaus Harrods. Schon in ihrem Bewerbungsschreiben soll Anna angegeben haben, dass sie eines Tages für die "Vogue" schreiben wolle.
Praxis statt Studium: Ganz nach ihrem Motto: "Mode kann man nicht lernen. Man muss ein Auge dafür haben".
Ein Leitspruch, dem sie bis heute treu geblieben ist, genauso wie ihrem ikonischen Pagenkopf, den sie sich im zarten Alter von 15 Jahren zulegte. Anna wusste eben schon immer, was sie wollte.
Harrods verließ Anna bald, um lieber in den hippen It-Boutiquen zu jobben, die im trendigen London wie Pilze aus dem Boden schossen. Ihr Ehrgeiz, für den sie heute berühmt ist, ließ damals noch zu wünschen übrig.
Ich wollte unabhängig sein und mein eigenes Ding machen. Es war eine Mischung aus Faulheit und Brüder und Schwestern zu haben, die akademisch sehr gut waren.
Anna Wintour
Mode verleiht Flügel
Doch wie es sich für die Tochter eines Journalisten gehört, fand Anna irgendwann dann doch ihren Weg zum Print: Mit 21 Jahren nahm Anna einen Job beim Modemagazin "Harper's Bazaar" an. Dort war sie zunächst dafür zuständig, innovative Locations für Fotoaufnahmen ausfindig zu machen.
Inspiriert von Beatmusik und dem Flair von Piccadilly veränderte Anna Wintour mit ihren frischen Ideen Optik und Image des altehrwürdigen Modeschinkens.
Man sollte sich nicht zu viel darum sorgen, was die Konkurrenz macht oder was andere Menschen in der Branche gerade tun. Man muss eine wirkliche Vision haben.
Anna Wintour
Karriere-Sturz in New York, New York
Ihre Karriere kam ins Rollen: 1975 ging Anna Wintour nach New York, um als junge Modejournalistin bei "Harper’s Bazaar" zu arbeiten.
Dort erleidete Anna Wintour - obwohl gerade mitten im Höhenflug - eine Bruchlandung:
Ich habe für Harper’s Bazaar gearbeitet. Sie feuerten mich. Ich empfehle, dass jeder mal entlassen wird. Es ist eine Erfahrung, von der man viel lernen kann.
Anna Wintour
Ein beruflicher Tiefpunkt, der Anna Wintour eine güldene Karriere-Tür öffnen sollte...
Bevor es in Mode kommt, ist es in Vogue
Anna Wintour wechselte als Redakteurin zu "Vogue", seit 1988 lenkt sie die Geschicke des einflussreichsten Modemagazins der Welt. Keine Chefredakteurin saß länger auf dem Mode-Thron.
Annas erstes "Vogue"-Cover als Chefin? Inzwischen ikonisch. Für die Novemberausgabe '88 kombinierte sie eine Jeans von der Stange (50 Dollar) mit einem Couture-Jäckchen von Christian Lacroix (10.000 Dollar) - das hatte vor ihr noch niemand gewagt. Außerdem durfte gelächelt werden - und wie!
Zuvor waren vor allem strenge Porträts als Titelbilder "en vogue". Anna Wintour revolutionierte mit ihren frischen Ideen (wieder einmal) die Modewelt - wenn auch unbeabsichtigt.
Denn ihre Vision war aus der Not geboren: Das israelische Model Michaela Bercu kam direkt aus dem Urlaub vom Flughafen ans Vogue-Set - und passte nach der kleinen Fashion-Pause nicht mehr in die Size-Zero-Klamotten der großen Designer. Also durfte sie ihre private Guess-Jeans anbehalten.
Fashion mit Haltung
Der Rest ist Geschichte. Anna Wintour war auch die erste, die nicht nur professionelle Models, sondern Stars aus Film, Musik und sogar Politik auf ihre Cover holte.
Stellung beziehen - das kann Anna Wintour. Immer wieder positioniert sich die Grande Dame der Mode im US-Präsidentschaftswahlkampf auf der Seite der Demokraten. Dafür lichtete sie schon Michelle Obama, Hillary Clinton oder aktuell Kamala Harris für "Vogue" ab.
Übrigens: Anna Wintour ist nicht nur Herrscherin über die Vogue, sondern auch über die jährliche "Met Gala". Zu der ist Donald Trump ausgeladen, versteht sich. Was er tun könne, um wieder eingeladen zu werden? "Absolut nichts", so Anna Wintour.
Teuflisch-fiese Chefin oder eine Frau, die weiß, was sie will?
Inzwischen ist Anna Wintour nicht nur Chefin der amerikanischen "Vogue", sondern auch für die Inhalte aller weltweiten Ausgaben verantwortlich. Damit gilt sie als einflussreichste Frau in der Modebranche und als eine der mächtigsten Journalistinnen der USA. Mit ihr an der Spitze werden in der "Vogue" keine Trends dokumentiert, das Magazin setzt sie.
Aber auch ein "Teufel in Prada" braucht Päuschen. Bei ihrem Pensum kaum zu glauben, aber wahr: Anna Wintour hat auch so etwas wie Freizeit. Die verbringt sie am liebsten mit ihrer Familie - und vielleicht mit Schauspieler Bill Nighy. Die beiden sollen seit 2021 gemeinsam durchs Leben schlendern.
Wenn Anna Wintour Zeit mit ihren Liebsten, ihren zwei Kindern und drei Enkelkindern verbringt, spricht sie nicht über ihre Arbeit. "Wir spielen Tennis, wir spielen Brettspiele. Das ist mein Trost."
Anna Wintour zeigt damit, dass Frauen heute beides können: Karriere und Family-Life. Man muss sich nicht entscheiden - sie schon gar nicht. Die Bälle hält sie bravourös in der Luft, auch mit 75. Denn ans Aufhören denkt Anna Wintour nicht. "Ich liebe, was ich tue. Es fordert mich immer wieder heraus."
Quellen und weiterführende Links
Dieses Thema im Programm:Das Erste | BRISANT | 03. November 2024 | 17:00 Uhr