Ein Jahr nach Gewalttat an 12-Jähriger Getötete Luise aus Freudenberg: Das machen die Täterinnen heute

11. März 2024, 19:16 Uhr

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod der 12-jährigen Luise aus Freudenberg (NRW) ist das Entsetzen vor Ort immer noch groß. Die Schülerin war im März 2023 erstochen wurden. Sie verblutete nur wenige Kilometer entfernt von ihrem Zuhause. Zwei Mädchen, damals 12 und 13 Jahre alt, hatten die grausame Tat gestanden.

Der Versuch, die Tat zu verarbeiten

Am Montag (04.03.) trafen sich Pfarrer, Bürgermeisterin, Landrat und Sozialdezernent im Rathaus von Freudenberg. Bei dem Treffen ging es vor allem um die Unterstützung für die Familie von Luise, aber auch um die minderjährigen mutmaßlichen Täterinnen.

Das Entsetzen bleibt. Der Weg in die Normalität ist kein einfacher.

Bürgermeisterin Nicole Reschke

Laut Bürgermeisterin Nicole Reschke sei es schwer zu ertragen, dass die "Frage nach dem Warum" offenbleiben werde, denn die beiden mutmaßlichen Täterinnen können strafrechtlich nicht belangt werden.

Kinder unter 14 Jahren sind strafunmündig, daher gab es keinen Prozess und kein Urteil. Die Ermittlungen waren im September eingestellt worden.

Klage auf Schmerzensgeld

Die Hinterbliebenen von Luise haben mittlerweile beim Landgericht Koblenz eine Zivilklage gegen die beiden minderjährigen Täterinnen eingereicht, wie ein Gerichtssprecher bestätigt.

Für die erlittenen Qualen des zwölfjährigen Mädchens fordert die Familie unter anderem ein Schmerzensgeld von jeweils 50.000 Euro sowie je 30.000 Euro Hinterbliebenengeld für die nächsten Angehörigen.

Sie machen laut Gericht geltend, bis heute erheblich unter dem Tod von Luise zu leiden. Insgesamt gehe es um einen Streitwert von rund 160.000 Euro.

Anders als im Strafrecht, können Kinder, die älter als sieben Jahre sind, für unerlaubte Handlungen haftbar gemacht werden. Da die Eltern der beiden Mädchen nicht für ihre Kinder haften, müssten sie das Schmerzensgeld selber nicht zahlen.

Wohngruppe, Therapie, Psychiatrie: So geht es den mutmaßlichen Täterinnen

Die geständigen Kinder waren mit ihren Familien nach der Tat aus Freudenberg weggezogen, unter Obhut des Jugendamts gestellt und in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht worden. Sie haben ihre erste Therapiephase bereits hinter sich, teilt Thomas Wüst, Jugendamtsdezernent des Kreises Siegen-Wittgenstein, bei der Pressekonferenz am Montag mit.

Eines der Mädchen wohnt inzwischen in einer Wohngruppe. Das andere ist derzeit noch stationär in der Psychiatrie untergebracht und wird in einigen Wochen ebenfalls in eine Wohngruppe außerhalb von Siegen-Wittgenstein ziehen.

Fachwerkhäuser in Freudenberg stehen in der Altstadt nebeneinander.
Die Familien der Täterinnen sind aus Freudenberg weggezogen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Oliver Berg

Nach "BILD"-Informationen versuchten die Eltern der älteren Täterin, ihre Tochter nach Hause zu holen und mit ihr auszuwandern - vergeblich. Sozialdezernent Thomas Wüst erklärt: "In so einem Fall wendet sich das Jugendamt an das Familiengericht, das dann eine Entscheidung trifft."

Beide Mädchen bekommen ambulante Unterstützung und Schulunterricht. Das Jugendamt ist verpflichtet, ihnen einen Weg zurück ins Leben zu ermöglichen und eine Perspektive zu zeigen, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Dabei geht es auch um die Verarbeitung der Tat, zusammen mit ihren Familien. Zumindest bis zum 18. Geburtstag werden die Behörden wohl für eine engmaschige Therapie und Betreuung der Mädchen sorgen.

Ob die Mädchen Schuldgefühle haben? Dazu könne sich Thomas Wüst nicht äußern. Allerdings: "Die Belastung empfinden sie als immens."

Was ist mit der Familie des Opfers?

Ob die Familie noch in Freudenberg wohnt oder weggezogen ist, ließ der evangelische Pfarrer Thomas Ijewski zu deren Schutz unbeantwortet. Er richtet aber ihren Wunsch aus, sich dem Grab des Mädchens nicht zu nähern und die Privatsphäre zu respektieren. Alles sei noch zu frisch, zu nah, zu furchtbar, es brauche Zeit.

Wunden können heilen, aber Narben werden bleiben.

Pfarrer Thomas Ijewski

Auch Blumen und Plüschtiere helfen der Familie nicht mehr, wie er erklärte. "Das ist alles furchtbar lieb gemeint. Aber in der Masse ist es dann auch ein Stück furchtbar für die Familie."

Kerzen, Blumen und Figuren liegen am Fundort an der Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.
Am Fundort an der Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurden Kerzen, Blumen und persönliche Gegenstände niedergelegt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Oliver Berg

Ob ein zentraler Gedenkort errichtet werden soll? "Nein", sagte der Pfarrer, man solle Luise im Herzen behalten, statt das grausame Geschehen "in Stein zu meißeln". Mit der Tötung des Mädchens seien zwei "Grundannahmen vom Leben" erschüttert worden: dass Kinder gut sind und dass Freundinnen zusammenhalten.

Auch die Menschen in Luises Schule bekommen weiter Unterstützung, weiß Bürgermeisterin Nicole Reschke. Um sie kümmern sich Seelsorger und ein Krisenteam der Bezirksregierung. Es gibt Angebote für Jugendliche zur Trauerverarbeitung und zum Thema Ausgrenzung.

Rüttelt der Fall am Gerechtigkeitsempfinden?

Landrat Andreas Müller spricht von einem "grausamen Spannungsfeld." Ihrer Familie sei Luise für immer gewaltsam entrissen, für die geständigen Mädchen werde es aber "im klassischen Sinne keine Strafe" geben.

Es sei verpflichtend, den Täterinnen einen Weg zurück ins Leben zu ebnen. Für manche sei das sehr unbefriedigend, empöre, verletze das subjektive Gerechtigkeitsempfinden. Aber: "Damit müssen wir leben und umgehen."

Sollte das Alter der Strafmündigkeit herabgesetzt werden?

Kurz nach Luises Tod war eine Debatte über eine frühere Strafmündigkeit aufgekommen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte versprochen, Luises Tod werde nicht ohne Folgen bleiben.

Der Landtag beauftragte die NRW-Regierung im Mai 2023, die Ursachen der steigenden Kinder- und Jugendkriminalität erforschen zu lassen. Aus dem Innenministerium heißt es dazu auf Anfrage, man habe das Landeskriminalamt mit der Umsetzung der Studie beauftragt, Ergebnisse gebe es noch nicht.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 06. März 2024 | 17:15 Uhr

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