Rechtsprechung Schuldunfähig nach Alkoholkonsum - was ist dran?
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18. Oktober 2023, 15:29 Uhr
Mildernde Umstände vor Gericht, weil der Täter alkoholisiert war? Diese Regel gibt es in der Rechtsprechung nicht. Wann man Schuldunfähig ist und wann man trotz Vollrausch bestraft wird, weiß Brisant.
Umgangssprachlich sagt man, jemand sei unzurechnungsfähig, wenn er oder sie unter Alkohol- oder Drogeneinfluss eine Straftat begangen hat. Juristisch korrekt ist der Begriff der "Schuldunfähigkeit". Unter Alkoholeinfluss ist die Alkoholkonzentration im Blut maßgeblich.
Im Strafrecht handelt es sich bei der Schuldunfähigkeit um einen Zustand, in dem eine Person nicht (mehr) fähig ist, eine bestimmte Schuld zu tragen. Sie kann dafür nicht oder nicht in vollem Umfang belangt werden. Kinder sind bis zum vollendeten 14. Lebensjahr immer schuldunfähig.
§ 20 StGB beleuchtet vier biologische Kriterien der Schuldunfähigkeit:
· krankhafte seelische Störung im Sinne von Geisteskrankheiten (Paralyse, Schizophrenie)
· tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne von schweren nichtkrankhaften Bewusstseinstrübungen oder -einengungen, die zu einem Verlust der raum-zeitlichen Orientierung führen (hochgradige Affekte)
· angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare organische Ursachen (in älteren Versionen als "Schwachsinn" bezeichnet)
· schwere seelische Abartigkeit (Psychopathien, Neurosen und Triebstörungen)
Diese Kriterien führen zu der Unfähigkeit, ein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich der Tat zu erlangen und das Verhalten zu steuern. Keine Schuld - keine Strafe.
Der durch Alkohol, Drogen und Medikamente ausgelöste Rausch wird in der Rechtsauslegung entweder als krankhafte seelische Störung oder als tiefgreifende Bewusstseinsstörung interpretiert.
Überwiegend sind Juristen aber der Ansicht, dass der Alkoholrausch eine krankhafte seelische Störung darstellt, da mit ihm eine toxische Beeinträchtigung der Hirntätigkeit verbunden ist (Vergiftungserscheinungen) und deshalb eine körperliche Ursache vorliegt.
Wann ist man Schuldunfähig?
Eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB kommt bei einer Blutalkoholkonzentration von 3,0 Promille in Betracht. Bei Tötungsdelikten erst ab 3,3 Promille - aufgrund der höheren Hemmschwelle. Dies sind aber nur Richtwerte. Im Einzelfall kann das Gericht auch hiervon abweichen. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls - dazu gehören die Alkoholgewöhnung, die körperliche Verfassung, das Täterverhalten und die Schwere des Delikts.
Zwischen 2,0 und 2,9 Promille ist der Täter in der Regel vermindert schuldfähig nach § 21 StGB. Dann kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Unter 2,0 Promille ist man aber nicht automatisch voll schuldfähig. Auch hier ist eine Gesamtwürdigung aller Tatumstände – auch der Blutalkoholkonzentration – ausschlaggebend.
Mit Absicht betrinken: Strafe trotz Schuldunfähigkeit im Vollrausch
Was aber, wenn der Täter sich vor der Tat bewusst betrinkt, um einer Strafe zu entgehen? Das zu beweisen ist unfassbar schwierig, denn welcher Täter würde schon zugeben, dass er sich "Mut angetrunken" hat oder sogar einen Drogenrausch bewusst herbeigeführt hat? Dementsprechend gibt es unter Juristen verschiedene Auslegungsansätze des § 20. Diese "actio libera in causa" genannten Überlegungen beziehen sich auf die "Begehung der Tat".
Doch diese Modelle verstoßen gegen Artikel 103 II GG (Grundgesetz). Eine Tat kann demnach nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Es gibt aber in unserer Rechtsprechung kein Gesetz, dass ein Sich-Betrinken unter Strafe stellt. Auch kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die Tat ohne das Sich-Betrinken nicht begangen worden wäre.
Um dieses theoretische Schlupfloch für einen Täter zu verhindern, gibt es einen eigenen Paragrafen für den vorsätzlichen oder fahrlässigen Vollrausch im Zusammenhang mit einer Straftat: § 323a StGB.
Der Strafrahmen beträgt bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Bestraft wird der Täter also nicht wegen der im Rausch begangenen Handlung, sondern wegen der Handlung des Sich-Berauschens, welche zur Schuldunfähigkeit geführt hat.
(Dieser Artikel wurde erstmals am 27.10.2022 veröffentlicht)
Quellen: Juracademy/bußgeldkatalog/uni-freiburg/juraforum
Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 27. Oktober 2022 | 17:15 Uhr