Kommentar "Victoria's Secret": Warum der Olymp noch auf seine Engel warten muss

Die Engel mit gebrochenen Flügeln fliegen wieder.

Die "Victoria's Secret"-Show ist zurück - mit einem neuen, empowernden Anstrich.

Plus- und Mid-Size-Engel flanieren neben Size-Zero- und Petite-Models über den Catwalk. Kurze Haare sind genauso erlaubt wie Tattoos. Doch reicht das wirklich aus, um Phoenix wieder aus der Asche zu heben?

Vor sechs Jahren breiteten die "Victoria's Secret"-Engel ein letztes Mal ihre Flügel aus. Danach wurden sie aus dem Dessous-Paradies verbannt - aus Gründen.

Engel in der Hölle: Es ging um Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt, Bodyshaming und Essstörungen. Nicht nur ein makellos anmutender Engel soll sich unter dem Druck den Flügel verknackst haben.

Dabei war "Victoria’s Secret" mehr als vier Jahrzehnte lang eine der bekanntesten und meistdiskutierten Marken der USA. Zunächst gab es stationäre Läden, später ständig ausverkaufte Kataloge und ab 1995 die ikonische alljährliche "Victoria's Secret" Fashion Show. Nur die Schönsten der Schönen durften die hochexklusiven Dessous präsentieren. Die absolute Elite unter ihnen schwebte mit Flügeln ausgestattet über den Laufsteg.

Ein Ritterschlag, der Models zu Ikonen machte: Tyra Banks, Naomi Campbell, Heidi Klum, Giselle Bündchen, Adriana Lima. Überfrauen, die das Schönheitsideal von Millionen Mädchen und Frauen prägten. Bis "Victoria's Secret" abstürzte - und mit ihnen seine Engel.

Durch - oder dank - des Body-Positivity-Trends verlor das Unternehmen an Bedeutung und Strahlkraft. Die Engel verloren ihre Aura, ihr Glitzern, wurden für ihr dauerperfektes und kaum zu erreichendes Frauenbild kritisiert. Einst Marktführer, geriet VS in eine nicht enden wollende Abwärtsspirale. 2018 wurde den Fashion Shows der Stecker gezogen.

Aber manchmal muss ein Traum in Trümmern liegen, damit man etwas viel Besseres daraus erbauen kann: Mit neuem Konzept und feministischem Fokus möchte die Marke ihr Image wieder reinwaschen.

Alles neu? Irgendwie schon, irgendwie aber auch nicht.

Ja: "Victoria's Secret" setzt bei seinem Model-Cast jetzt auf Diversität. Doch vielleicht reicht es nicht, dass Engel 35+ und kleiner als 1,75 m sein dürfen.

Auch der Fakt, dass Models 2024 Kurven haben oder Laufstegschönheiten wie Gigi Hadid oder Taylor Hill plötzlich mit kurzen Haaren und ohne meterlange Extensions über den Laufsteg geschickt werden, ist nicht gerade "groundbreaking", wie Miranda Priestly in alter "Der Teufel trägt Prada"-Manier sagen würde.

"Victoria's Secret" sollte Zuschauern und Fans die ganze Hand reichen. Bekommen haben wir den kleinen Finger.

Pluspunkte gibt es dafür, dass die Comeback-Show explizit nur von Frauen produziert wurde. Model-Ikonen wie Tyra Banks, Carla Bruni, Eva Herzigova oder Kate Moss wurden engagiert, um den Lack der angeschlagenen Marke wieder aufzupolieren - mit Erfolg. Starke Frauen, die der Show Leben, Charakter und zeitlose Schönheit einhauchten.

Als Sahnehäubchen durften inmitten der Dessous-Angels ausschließlich weibliche Musik-Acts auftreten - allerdings im gewohnten "Victoria's-Secret"-Style, wie bereits im Vorfeld versprochen wurde:

Wie sagt man so schön: Früher, da war ja nicht alles schlecht. Bei "Victoria's Secret" stank es aber gerade hinter den Kulissen bis zum Himmel.

Die Combeback-Show? Ein Anfang. Die ganz große Entwicklung blieb aus.

Trotzdem: VS ist im Anflug, ein Anfang ist gemacht. Doch da ist noch Luft nach oben. Damit die Engel in Zukunft wieder in den Mode-Himmel fliegen können.