PolizeigesetzSchüsse, Gewalt, Festnahme - Was darf die Polizei und was nicht?
Videos von Polizeieinsätzen führen immer wieder zu Diskussionen über den Gebrauch körperlicher Gewalt von Beamten. Wann darf die Polizei Menschen festhalten, zu Boden bringen oder überhaupt mit vollem Körpereinsatz agieren? Und wann ist ein Schusswaffengebrauch gerechtfertigt?
Gewaltanwendung muss angemessen sein
"Jeder polizeiliche Verwaltungsakt kann grundsätzlich mit Zwang durchgesetzt werden", erklärt Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin der Deutschen Presseagentur. Die Anwendung müsse im Einzelfall aber erforderlich und angemessen sein.
Zwang muss angedroht werden
Dem Professor für Staats- und Verwaltungsrecht zufolge reicht es nach aktueller Rechtslage aus, dass ein Betroffener einer polizeilichen Anordnung nicht nachkommt: "Auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung kommt es dabei im Regelfall nicht an, was rechtsstaatlich natürlich problematisch ist."
Allerdings müssen ein Polizist oder eine Polizistin die Anwendung von Zwang vorher androhen, wie Clemens Arzt erklärt. Für einen Sofortvollzug, also die erlaubte Anwendung von Zwang ohne vorherige Androhung, gebe es nur ganz wenige Situationen. Etwa wenn jemand im Begriff sei, zu fliehen oder die Beamten angreife.
Langsame Steigerung der Maßnahmen
Auch wenn Zwang erlaubt ist, stellt sich Clemens Arzt zufolge immer die Frage nach der Verhältnismäßigkeit.
Die Grundidee jeder polizeilichen Maßnahme ist: Die Polizei muss zum mildesten Mittel greifen.
Clemens Arzt | Professor für Staats- und Verwaltungsrecht
Bei einer Straßenkontrolle hieße das, dass sich ein Beamter/eine Beamtin zunächst in den Weg stelle. Dann versuche man, den Betroffenen am Arm festzuhalten. Klappt auch das nicht, versuche man es zu zweit. Erst danach sei es angemessen ihn zu Boden zu bringen. Es geht also um eine langsame Steigerung der Zwangsmaßnahmen.
Aber: Rechtlich gesehen gibt es keinen Interpretationsspielraum, erklärt Clemens Arzt: "Verhältnismäßigkeit ist keine Frage von Ermessen. Entweder ist eine Maßnahme verhältnismäßig oder sie ist es eben nicht mehr."
Das steht im Polizeigesetz
Was die Polizei darf und was nicht, steht im Polizei- und Ordnungsrecht (POR). Jedes Bundesland erlässt sein eigenes POR. Das basiert weitestgehend auf einem einheitlichen Musterentwurf.
Rechtsgrundlage sind sowohl das Strafgesetzbuch als auch das Grundgesetz. Das POR regelt, wann welche Behörde bestimmte Schritte einleiten darf, um "Gefahren" abzuwehren bzw. Täter zu verfolgen und festzunehmen.
Unter "Gefahr" versteht man eine "drohende Schädigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung", zum Beispiel das Recht des Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit oder sein Eigentum. Deshalb wird die Polizei bei Diebstahl, Einbruch, Körperverletzung, schweren Verkehrsunfällen oder Mord aktiv.
Zur öffentlichen Sicherheit zählen auch Veranstaltungen und Demonstrationen. Die Polizei trennt dabei in der Regel die rivalisierenden Lager (z.B. Demonstranten und Gegendemonstranten oder Fangruppen gegnerischer Fußballvereine) voneinander, so dass sie sich gegenseitig keinen Schaden zufügen können.
Das darf die Polizei:
- Die Identität feststellen: Namen, Geburtstag und -ort, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit. Denn den Personalausweis muss man nicht dabei haben!
- Jemanden "zur Gefahrenabwehr" mit auf die Wache nehmen (z.B. wenn man betrunken über die Straße torkelt und sich selbst oder andere Verkehrsteilnehmer gefährdet)
- Ein Fahrzeug anhalten und von außen kontrollieren, Fahrerlaubnis und Fahrzeugschein verlangen, Warndreieck und Verbandskasten kontrollieren
- Einen Verkehrsteilnehmer bei Verweigerung eines Alkoholtests für eine Blutabnahme mit auf die Wache nehmen (wenn Verdacht auf Alkohol oder Drogen am Steuer besteht)
- Jemanden vorläufig festnehmen, allerdings höchstens 24 Stunden (ohne richterliche Anordnung der Untersuchungshaft), in Notfällen bis zu 48 Stunden
Das darf die Polizei nicht:
- Ein Fahrzeug durchsuchen. Das beinhaltet auch den Kofferraum.
- Mit einer Taschenlampe in die Augen leuchten, jemanden auf einer Linie balancieren lassen, den Gleichgewichtssinn testen etc. (bei Verdacht auf Alkohol oder Drogen am Steuer)
- Jemanden abtasten (Leibesvisitation), außer man stimmt zu oder es liegt der begründete Verdacht einer Straftat vor (z.B. Drogenhandel, Diebstahl). Nimmt man das schweigend hin, bedeutet das Zustimmung!
- Taschen durchsuchen, wenn kein begründeter Verdacht auf eine Straftat vorliegt (z.B. Drogenhandel, Diebstahl)
- Jemanden zum Unterschreiben eines Papiers oder Protokolls zwingen
- Eine Wohnung durchsuchen - dazu braucht es einen richterlichen Beschluss. ABER: "Zur Gefahrenabwehr", z.B. bei Verdacht auf häusliche Gewalt, darf die Polizei natürlich sofort einschreiten
Ist Schleierfahndung erlaubt?
Verdachts- und anlassunabhängige Kontrollen, sogenannte "Schleierfahndungen", sind in den meisten Bundesländern aufgrund des Wegfalls von Grenzkontrollen dennoch gestattet, vor allem, um international operierende Verbrecherbanden zu bekämpfen.
Schusswaffengebrauch: Wann darf die Polizei schießen?
Polizisten dürfen gezielt auf Menschen oder Gegenstände schießen. Ein "finaler Rettungsschuss" ist erlaubt, um eine akute Gefahr für Leib und Leben zu beenden und Täter an einer Flucht zu hindern.
Weil ein Schuss mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich enden kann, dürfen die Beamten im Einsatz nur in Extremsituationen zur Waffe greifen. Schießtraining ist deswegen ein fester Bestandteil der Polizeiausbildung.
Zur Aufklärung der Hintergründe und um festzustellen, ob ein Schuss wirklich gerechtfertigt war, wird danach immer ein Strafverfahren eingeleitet und der Fall an eine externe Polizeibehörde übergeben.
Polizisten dürfen schießen ...
- wenn Gefahr für Leib und Leben besteht (für Polizisten selbst oder Unbeteiligte).
- um ein Verbrechen zu verhindern, bei dem der Täter Schusswaffen oder Sprengstoff verwendet (Selbstmordattentat, Amoklauf, Geiselnahme).
- wenn es das "letzte Mittel" ist und alles andere (Drohung, Warnschuss) nicht wirkt.
Anzeige gegen Polizisten stellen
Fühlt man sich von den Beamten nicht korrekt behandelt, kann auch gegen Polizisten Strafanzeige gestellt werden. Die Anzeige muss dann bei der Staatsanwaltschaft erstattet werden.
Eine Dienstaufsichtsbeschwerde reicht man beim Polizeipräsidenten des jeweiligen Bundeslandes ein.
HinweisDieser Beitrag wurde am 8. Juli 2020 erstmals veröffentlicht - und zuletzt am 23. April 2025 aktualisiert.
Quellen und weiterführende Links
BRISANT
dpa
Süddeutsche Zeitung
Wikipedia
Zum Thema
Dieses Thema im Programm:Das Erste | BRISANT | 23. April 2025 | 17:15 Uhr