FehlurteileWörz, Mollath, Ulvi K. u.a.: Fünf spektakuläre Justizirrtümer
In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten - lautet das Credo der Justiz. Dennoch kommt es immer wieder zu Fehlurteilen: Unschuldige werden inhaftiert, während der wahre Täter sein Leben in Freiheit verbringt. Die finanzielle Haftentschädigung kann Schmach und Ansehensverlust des zu unrecht Verurteilten in der Regel nicht aufwiegen. Das sind die spektakulärsten deutschen Justizirrtümer.
1.) Harry Wörz - 55 Monate Haft aufgrund von Ermittlungsfehlern
Er ist mit seinem Fall an die Öffentlichkeit gegangen - und kämpft bis heute darum, dass der wahre Täter gefasst wird: Harry Wörz aus Gräfenhausen im Enzkreis.
Im Jahr 1998 wird dem damals 31-jährigen Wörz wegen versuchten Totschlags der Prozess gemacht, weil er im Jahr zuvor seine Ehefrau mit einem Schal stranguliert haben soll. Das Urteil: zwölf Jahre Haft. Ein Wiederaufnahmeverfahren wird zunächst abgelehnt.
Besonders schwierig für den Angeklagten: Das Opfer kann keine Täterbeschreibung abgegeben, da es beim Angriff das Bewusstsein verloren hat. Folglich kann sich die Frau auch nicht daran erinnern, dass ihr Ehemann Harry Wörz ihr in Wirklichkeit das Leben gerettet hat.
Ein letztendlich doch genehmigtes Wideraufnahmeverfahren bringt gravierende Ermittlungsfehler der Polizei und Staatsanwaltschaft ans Licht. Die Schuld von Harry Wörz ist mangels Beweislage nicht eindeutig nachgewiesen worden.
Dass auch der damalige Liebhaber der Ehefrau als Tatverdächtiger in Betracht kommt, wird nicht weiterverfolgt. Dass dieser Polizist ist und vieles darauf hindeutet, dass seine Kollegen ihn schützen wollen, fällt erst später auf. Erst nach 55 Monaten Haft wird Harry Wörz am 15.12.2010 freigesprochen. Als Entschädigung soll er etwa eine halbe Million Euro erhalten haben.
2.) Ulvi K. - Geständnis ohne Tat
Am 7. Mai 2001 kehrt die neunjährige Peggy Knobloch aus Lichtenberg nicht von der Schule zurück. Bald gerät der damals 23-jährige, geistig behinderte Ulvi K. unter Verdacht. Doch ein belastendes Indiz oder gar Beweise findet man nicht.
Umso erstaunlicher ist es, als sich K. in einem langen Verhör schuldig bekennt und einen vermeintlichen Tathergang schildert. Aufgezeichnet wird das Verhör nicht. Für den Beschuldigten erschwerend ist außerdem, dass ein Gutachter bescheinigt, dass der geistig behinderte Mann nicht dazu in der Lage wäre, sich eine solche Geschichte auszudenken.
Daraufhin wurde Ulvi K. zu lebenslanger Haft verurteilt, eine Revision vor dem BGH abgelehnt. Zweifel an der Schuld K.s konnten trotzdem bis zum Schluss nicht ausgeräumt werden.
Schließlich war es eine Bürgerinititave, die sogar von Peggys Familie unterstützt wurde, die den Fall erneut ins Rollen brachte. Erst im Mai 2015 wurde Ulvi K. freigesprochen und mehr als ein Jahr später aus einer psychiatrischen Einrichtung in Bayreuth entlassen. Peggy Knoblochs Mörder ist bis heute nicht gefunden worden.
3.) Bauer Rupp - falsches Geständnis der Angehörigen
Parallelen zu Ulvi K. gibt es im Fall des verschwundenen Landwirts Rudolf Rupp aus Oberbayern, der nach einem Wirtshausbesuch im Oktober 2001 spurlos verschwindet.
Zu einer Verurteilung kommt es auch in diesem Fall sehr schnell, da seine Ehefrau, seine beiden Töchter, sowie ein Ex-Freund einer der Töchter zugeben, Rupp getötet, zerteilt und an Tiere verfüttert zu haben. Aussagen, die sie noch vor der Verhandlung widerrufen.
Acht Jahre später wird der vermisste Wagen von Rudolf Rupp in der Donau gefunden - darin das unbeschadete Skelett des Vermissten. Die vier Verurteilten müssen in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werden. Wie Rudolf Rupp letzlich ums Leben kam, ist bis heute nicht geklärt.
4.) Gustl Mollath - Opfer einer Intrige?
Besonders verzwickt ist der Fall Gustl Mollath. Im Jahr 2001 behauptet seine Frau Petra, von Mollath geschlagen, gebissen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden zu sein, bringt das jedoch erst ein Jahr später zur Anzeige. Auslöser des Streits sollen Petra Mollaths illegale Geldgeschäfte gewesen sein. Die Frau ist Bankerin.
Im Mai 2003 erhebt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage gegen Gustl Mollath wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
Ein halbes Jahr später erstattet Gustl Mollath gegen seine mittlerweile Ex-Frau und weitere Mitarbeiter der Bank Strafanzeige, da sie für Kunden Schwarzgeldgeschäfte abgewickelt haben sollen. Ein Vorwurf der sich später bestätigt.
Anfang des Jahres 2005 wird bekannt, dass dutzende Autoreifen zerstochen und Pkws beschädigt worden sind. Gustl Mollath wird dafür verantwortlich gemacht, aufgrund fehlender Beweise jedoch freigesprochen. Dennoch wird er wegen angeblicher Gemeingefährlichkeit in einer Psychiatrie untergebracht.
Erst sieben Jahre später, nachdem der Fall neu aufgerollt und der Nürnberger Justiz mehrere Fehler nachgewiesen werden konnten, darf Gustl Mollath die Psychiatrie verlassen. In einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich der Freistaat Bayern Mollath Amtshaftungsansprüche in Höhe von 600.000 Euro zu zahlen.
5.) Monika de Montgazon - als Brandstifterin verurteilt
Als im Jahr 2003 das Einfamilienhaus brennt, das Monika de Montgazon und ihr Vater bei Berlin bewohnen, kann sich die 48-jährige Arzthelferin retten. Ihr krebskranker Vater stirbt in den Flammen.
Brandstiftung, urteilen gleich zwei Brandgutachter, eine dritte Meinung findet kein Gehör. Monika de Montgazon wird verhaftet. Sie habe das Haus mit Brennspiritus in Brand gesetzt, um an die hohe Versicherungssumme zu kommen, wirft man ihr vor. Im Jahr 2005 wird die Frau zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Dabei wird eine besondere Schwere der Schuld festgestellt.
Aus der Haft heraus kämpft Monika de Montgazon gegen das Urteil an. Neue Gutachter und eine Expertin des Bundeskriminalamts stellen fest, dass die vorangegangenen Gutachten schwere Fehler enthalten. Nicht Brennspiritus, sondern wahrscheinlich eine Zigarette des Vaters hat den verheerenden Brand ausgelöst.
2008 wird Monika de Montgazon wegen erwiesener Unschuld freigesprochen - und für fast drei Jahre Haft zunächst mit lediglich 9.779 Euro entschädigt. Eine Anstellung als Arzthelferin findet sie nie wieder. Am 2. Januar 2017 wird sie tot in ihrer Wohnung gefunden.
BRISANT/mkg-jura-studis.de/sueddeutsche.de
(Dieser Artikel wurde erstmals am 16. Januar 2023 veröffentlicht.)
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